Ich bin ein Amateurpsychologe!
Als ich ungefähr 13 war, merkte ich, daß ein paar Dinge in der sozialistischen Realität sehr falsch liefen, und im Alter von 15 landete ich versehentlich in einer oppositionellen Gruppe, die sich als Buchklub in der lokalen Bibliothek präsentierte. Es war eine erfrischende und befreiende Erfahrung, Menschen ausgesetzt zu sein (von denen die meisten zehn Jahre älter als ich waren), die es wagten, selbst zu denken, frei von allen ideologischen Fesseln. Ich war so erstaunt, daß solche Leute tatsächlich in dieser Welt existierten, daß ich es nicht erwarten konnte, meinen Eltern davon zu erzählen, wie spannend diese Diskussionsgruppe war. Sie verbaten mir sofort, solche Gruppen zu besuchen und sagten mir, ich solle das bloß nicht weitererzählen. Also, eine Woche später war ich wieder eine gute Schülerin, und hatte diese Diskussionsgruppe in "Literatur-Jugendklub" umbenannt und hielt den Mund darüber, was wir wirklich diskutierten.
Damals wie heute ist eine politische Revolution das letzte, was ich will, weil Revolutionen nur ein repressives Regime mit dem nächsten ersetzen. Und solange die psychologische Entwicklung des Menschen nicht Schritt hält mit der soziopolitischen Entwicklung, ist aller Fortschritt vergebens. Das konnte ich während der letzten Monate der Deutschen Demokratischen Republik miterleben — die Intellektuellen und Alternativen, welche erklärt hatten, "Wir sind das Volk", wurden niedergebrüllt von gierigen, opportunistischen, betrunkenen Leuten, die diesen Slogan kidnappten und zu "Wir sind ein Volk" verstümmelten.
Ich war enttäuscht, und nachdem ich auch in der Liebe und der Freundschaft gescheitert war, zog ich mich für die nächsten 15 Jahre aus dem aktiven Engagement zurück, und ging auf die Suche nach dem Stein der Weisen, der Weltformel, und einem tieferem Verständnis der menschlichen Natur.
Ich entdeckte die Psychologie — das ist heute mein Hauptinteresse. Nicht das "Schmutz aus der Kindheit ausgraben"-Gefasel, welches Menschen hilflos macht, und darauf abzielt, kreative Menschen so zurechtzustutzen, daß sie sich problemlos in eine kranke Gesellschaft einfügen können (Sigmund Freud). Nicht die Marketing-und Arbeitspsychologie ("Public Relations" / "spin doctors" / Edward Bernays), die versucht, Menschen besser auszunutzen, zu unterdrücken und zu manipulieren. Und nicht die Erforschung des eigenen Bauchnabels, welche Menschen in immer kleinere, sinnlose Kategorien einteilt (CG Jung).
Und schon gar nicht die Pop-Psychologie der Persönlichkeitstests in Zeitschriften und im Internet, welche Menschen in Obstkuchen u.a. verwandelt (Welche Art von Obstkuchen sind Sie?). Persönlichkeitstests laden Leute ein, sich in Kategorien einzuordnen, und geben ihnen die perfekte Ausrede, um ihre Beziehungen zu anderen Menschen nicht zu prüfen und verbessern zu müssen. Welche Art von Beziehung könnten fünf verschiedene Sorten von Obstkuchen schon haben?
Mich interessiert die humanistische Peer-Psychologie (Polaritätstheorie) nach Paul Rosenfels. Ich denke, daß seine Einsichten in 100 Jahren Allgemeinwissen sein werden. (Früher dachte ich, es würde 200 Jahre dauern, aber jetzt, wo ich sehe, wie wissensdurstig die Menschen sind, denke ich, es wird nicht so lange dauern.)
Jahrelang habe ich versucht, Gleichgesinnte zu finden, die sich für wissenschaftliche, humanistische Psychologie interessieren, und in der Tat gibt es eine Gruppe in der Gesellschaft, die sehr begabt ist, psychologische Wahrheit zu entdecken — jene Menschen, die als New Ager oder Esoteriker bekannt sind. Ich lernte ein wenig über traditionelle chinesische Medizin und über gesunde Ernährung, erwog sogar eine zeitlang, Physiotherapeut zu werden, aber nichts davon ist wirklich eine Herausforderung, denn es geht nicht um sozialen und menschlichen Fortschritt. Es geht lediglich um körperliches und geistiges Wohlbefinden. Nichts ist falsch daran, sich gut zu fühlen, aber wissen Sie, was mit Haustieren oder Zootieren passiert, die sich nur "gut fühlen"? Sie langweilen sich und werden deprimiert, weil sie wie wir Menschen auch Herausforderungen brauchen, nicht nur Stressabbau.
Vielleicht die größte Herausforderung, welche diese spirituell begabten Menschen interessiert, sind "übernatürliche" Phänomene. Und während die Erforschung von Kornkreisen, Geistern und Lichterscheinungen wissenschaftliche Bemühungen erfordert, sind diese Dinge nicht relevant für den Menschen. Der Hauptfehler der New Ager ist, daß sie mehr Interesse an UFOs, Kommunikation mit Verstorbenen, und anderen übernatürlichen Phänomenen zeigen als an der Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Lieber Mystiker, Sie machen Ihren Job nicht richtig — Sie helfen den Menschen nicht dabei, zu wachsen. Sie verwöhnen sie nur ein bißchen.
Nun, da ich wieder im aktiven Leben bin, versuche ich, spirituell begabte Menschen für konkrete menschliche Probleme zu interessieren, leiste ausgebrannten Aktivisten Erste Hilfe (welche sie eigentlich von den New Agern bekommen sollten!), und versuche, die Menschen um mich herum aufzuwecken. Und meine ersten Expeditionen in die Welt der Aktivisten überzeugten mich, daß ich jetzt wirklich gebraucht werde.