Ich habe ein neues Kätzchen. Sie ist begierig, ihre Rolle in ihrem neuen Rudel zu lernen. Sie darf auf dem Tisch springen, aber ich will nicht, daß sie Lebensmittel stielt, vor allem, wenn ich mich entferne. Wenn sie also zu nahe kommt, erhebe ich meine Stimme, und sie wird angespannt, erstarrt, und tritt zurück. Wenn ich das sanft tue, kooperiert sie und scheint eifrig, sowohl für ihre Mitarbeit belohnt zu werden als auch weiterhin zu erkunden, wo die sozialen Grenzen sind. Wenn ich zu grob bin, verletzt sie das, ihre Augen verdunkeln sich, und sie schmollt für eine Weile.
Wenn sie nicht sicher ist, ob ich es ernst meine, wird sie versuchen, mir zu trotzen. Wenn ich schreie oder auf ihren Rumpf klopfe, verletzt das ihren Stolz, und sie läuft davon. Wenn ich ihr hinterherlaufe, um sie zu holen, wird sie verschämt oder betrübt oder zumindest peinlich berührt kucken, bis ich sie streichel. Dann gähnt und streckt sie sich, und ihre Mundwinkel verziehen sich leicht in Andeutung eines Lächelns. Um zu zeigen, daß sie mir vertraut, zwinkert sie. Wenn ich zurückzwinker, reibt sie sich an mir.
Als ich ein Kind war, erklärten mir Lehrer, daß Tiere nicht fühlen können und schon gar nicht denken. Was für eine Schande ist es, daß Lehrer nicht fühlen kann und schon gar nicht denken.
Gleichheit ist im Herzen jeder frei gewählten Beziehung, einschließlich derjenigen, die wir mit Haustieren haben.
Obwohl unsere Haustiere Gefangene sind — sogar Eigentum, rechtlich gesehen — müssen sie doch entscheiden, welche Art von Beziehung sie mit uns zu eingehen werden; selbst Gefangene in Gefängnissen und Sklaven auf Plantagen tun das.
Ein Kätzchen hat ein Gehirn von der Größe einer Erdnuß und könnte mit einem einzigen Tritt ermordet werden, aber um eine Beziehung mit mir aufzubauen, müssen wir beide nach Gleichheit streben. Beide von uns stellen eine soziale Rechnung auf, welche aufgehen muß, damit die Beziehung sich als nützlich für beide erweist. Wir müssen genau den Nutzen von dem, was wir erhalten, mit dem vergleichen, was wir dafür geben. Und keine Beziehung entwickelt sich weiter, außer wenn jede Seite mehr bekommt mehr als sie gibt.
Ich möchte ein kleines Tierkind, das ich bewundern kann. Ich genieße es, sie zu streicheln und sie schnurren zu hören. Und für diese Gaben bin ich bereit, den Preis für ihre Ernährung zu zahlen, ihr hinterherzuräumen, und sie zum Tierarzt zu bringen. Aber sie muß ebenso eine Rechnung aufstellen. Das erste, was ich tat, als ich sie aufnahm, war sie zu füttern, damit sie lernte, daß sie Futter von mir bekommen kann. Und sie mag es, wenn ich sie streichel, sie liebt es, einen Ort zu haben, wo sie leben kann, der nie zu kalt oder zu heiß wird, und lebt gerne in einem kleinen Rudel, dessen Mitglieder sie nicht bedrohen. Aber sie weiß instinktiv, daß sie einen Preis für diese Privilegien zu zahlen hat. Sie darf mich nicht angreifen, außer im Spiel, sie hat meine Autorität als Anführer des Rudels zu akzeptieren, und sie muß würdevoll Qualen ertragen, wie Tierarztbesuche.
In jenen Momenten, wenn wir das Geben und Nehmen aushandeln, verhandeln, wieviel wir ertragen und wieviel wir einfordern, erreichen wir eine psychologische Gleichheit, welche über alle anderen Berechnungen hinausgeht. Deshalb ist der politische Mythos der Gleichheit der Menschen so wichtig. Nicht weil es falsch ist zu denken, was wir alle wissen — daß niemand allen anderen in jeder Beziehung genau gleich ist, tatsächlich oder auch nur im Prinzip, sondern weil der Mythos der Gleichheit Handel, Geselligkeit und die menschliche Familie selbst fördert.
In jenen Momenten, wenn wir an die Gleichheit glauben, erreichen wir eine psychologische Arena, in der unsere Gleichheit nicht länger ein Mythos ist, sondern eine Realität. Wie kann der Mensch kraft seines Verstandes um die inneren und geheimen Gemütsbewegungen der Tiere wissen? Durch welchen Vergleich zwischen ihnen und uns schließt er auf die Rohheit, welche er ihren zuschreibt? Wenn ich mit meiner Katze spiele, woher weiß ich, ob sie das Spiel nicht mehr amüsiert als mich? Wir unterhalten einander mit äffischen Tricks. Wie ich meine Gründe habe, etwas zu beginnen oder zu verweigern, so hat sie die ihren.
— M. E. de Montaigne